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Ein Landtag entschuldigt sich!


Empfohlener Beitrag

Geschrieben

Die Zeitungen melden heute, dass sich die Fraktionen des hessischen Landtages für die jahrzehntelange Verfolgung und Diskriminierung der Homosexuellen entschuldigt haben.
So sympathisch diese Aktion auch anmutet, wirft sie aber auch Fragen auf. Man bezieht sich nämlich auf die Verschärfung des Paragraphen durch die Nationalsozialisten, die dann vom Strafgesetzbuch der Bundesrepublik übernommen wurde. So erscheint die Entschuldigung als eine antifaschistische Aktion. Der Paragraph existierte aber schon im Kaiserreich. War er da vertretbar?
Weiterhin habe ich Probleme mit folgenlosem Fremdschämen. Wie steht es mit Entschädigungen?- Oder sehe ich alles zu kritisch?


Geschrieben

Das Schweigen zu diesem Diskussionsvorschlag ist verständlich. Meine Meinung dazu findet sich unverstellt in dem Thread "Umschwung für deutsche Schwule"( unter der Nr. 7 der Reihe der Threads) , in dem ich mit @Minotaurus und dem legendären, leider abgetauchten @Nackig über das Thema stritt. Das waren damals (im Juni) heiße Zeiten. Leider verlassen die Leute das Forum so früh.Ich vermisse selbst meinen gefährlichsten Gegner @Jaund. Und gerade in diesen Tagen gab es einen wortgewandten Neuling, @Pommfritz. Auch der ist wieder weg. Vertrieben??-
Freuen wir uns also alle, dass der Paragraph abgeschafft ist.


Geschrieben

Den hessischen Landtag hat seine Entschuldigung nichts gekostet. Es sind die nachgereichten Krokodilstränen über tausendfache Schicksale, die Schwulen widerfuhren. Dass sich der erst durchs preussische Landrecht in das deutsche Strafgesetzbuch 1877 geschmuggelte §175 so lange halten konnte (endgültig wurde er erst 1994(!) abgeschafft) , gehört zur gesellschafts- und justizpolitischen Schande dieses Landes.

Eine Entschädigung der Opfer kam und kommt für die Überlebenden der jahrzehtnelangen Schwulenverfolgung nicht in Frage, weil politisch nicht gewollt, vor allem von rechtskonservativen Kreisen. Erinnern wir uns daran, dass es die Fraktion der CDU/CSU im deutschen Bundestag war, die seinerzeit geschlossen gegen die Abschaffung des durch die Nazis verschärften §175 stimmte. Nach wie vor setzt die Politik auf die "biologische Lösung" des Problems Opferentschädigung. Denn Toten muss nichts mehr bezahlt werden - ein paar schleimige und zudem kostenlose Gedenkworte werden ins Grab hinterhergeworfen. Ein billiger und böser Triumph der Schwulenfeinde!


Geschrieben

Lieber @Minotaurus Wikipedia weiß das anders. Sie berichtet, dass der Paragraph durch das 1. Strafrechtsänderungsgesetz vom 25.6.69 abgeschafft wurde (Handlungen von Erwachsenen mit unter 21jährigen blieben strafbar). Das Gesetz trat noch zu Regierungszeiten der Großen Koalition in Kraft. Dann doch wohl kaum gegen den Willen der CDU/CSU-Fraktion.
Sie als Aktiver der Schwulenbewegung können da sicher Klarheit schaffen.- Aus den von mir im Juni schon erläuterten Gründen halte ich eine Entschädigung der Opfer des Paragraphen auch heute nicht für sinnvoll.


Geschrieben

Je nun, lieber @Nuwas, über die Dürftigkeit von Wikipedia sollte eigentlich kein mehr Dissenz bestehen. Aber leider wird dieses mängelbehaftete Onlinelexikon immer wieder zur Gewähr herangezogen mit der Begründung, es sei schließlich das weltweit größte Lexikon und werde stets als allererstes befragt. Letzteres stimmt zwar, doch auch nur deshalb, weil seine Macher es trefflich verstehen, als erster Treffer in den Suchmaschinen zu landen. Über die Qualität allerdings sagt das gar nichts aus und ist im Falle Wikipedia sogar ausgesprochen misslich.

Nun - was hat's mit dem §175 und dessen Abschaffung tatsächlich für eine Bewandtnis? In der zweitägigen Bundestagsdiskussion, die ich live am Schwarz-Weiß-Fernseher verfolgte (sie wurde komplett übertragen!), hatte sich sehr zum Ärger der CDU/CSU die FDP-Fraktion auf die Seite der SPD geschlagen, was sozusagen als Vorbote der wenig später folgenden rot-gelben Regierung (mit einem FDP-Justizminister) und des FDP-Bundespräsidenten Walter Scheel angesehen werden konnte. Jedenfalls wurde mit den Stimmen von SPD und FDP gegen die Stimmen der CDU/CSU-Fraktion die bis dahin gültige, von den Nazis seinerzeit verschärfte Fassung des §175 abgeschafft.

Doch weil die historisch unterbelichtete Generalität der Hardthöhe (damals Verteidigungsministerium) massiven Einspruch gegen eine restlose Streichung von §175 erhob (angeblich werde durch Homosexualität bei Soldaten die Kampfmoral der Truppe geschwächt!), wurde die sogenannte Lex Bundeswehr geschaffen, die bis 1973 Gültigkeit hatte. Demzufolge waren homosexuelle Handlungen bis 18 straffrei gestellt; wenn ein 18-Jähriger es mit einem 17-Jährigen hatte, wurde der 18-Jährige bestraft, nicht jedoch der 17-Jährige. Homosexuelle Handlungen von Männern zwischen 18 und 21 waren generell strafbewehrt, ebenso Handlungen von Männern über 21 mit 18-21-Jährigen. Ab 21 dann war Homosexualität unter erwachsenen Männern straffrei. Hinzugefügt werden muss, dass damals erst jemand mit 21 volljährig wurde und dann erst wählen durfte und den Führerschein machen.

Die krude Albernheit der Lex Bundeswehr leuchtete so allmählich auch der Bundestagsmehrheit ein (sogar einer Reihe CDU/CSU-Abgeordneter); 1973 wurde das Unding dann wieder abgeschafft. Allerdings blieb Homosexualität mit unter 18-Jährigen strafbar; das sogenannte Schutzalter für Mädchen hingegen war auf 14 Jahre festgelegt. Erst mit der endgültigen Neufassung des Sexualstrafrechts 1994 wurde der §175 aus dem Strafgesetzbuch ersatzlos gestrichen. Als neues "Schutzalter" für Jungen und Mädchen gleichermaßen wurde dann die Altersgrenze bei 16 Jahren festgelegt. Ebenfalls wurde damals der von vielen Juristen auch heute noch kritisierte unscharfe Begriff des sexuellen Missbrauchs eingeführt. (Vgl. hierzu die verschiedenen Aufsätze namhafter Juristen in der NJW).

Es diente der notwendingen Versachlichung von Diskussionen im Forum, wenn auf das Heranziehen zweifelhafter Informationen aus Wikipedia künftig verzichtet wird.


Geschrieben

@Minotaurus Ich habe nun etliche Memoirenbände, Geschichten der Bundesrepublik und das Archiv der Gegenwart zu Rate gezogen. Was ich fand, war, dass die damalige Regierungskoalition sich in der Frage der Strafrechtsreform auf einen Kompromiss geeinigt hatte, der dann auch im Mai und Juni 1969 verabschiedet wurde. - Sie müssen sich also irren. Auch die CDU/CSU war reformbereit.
Bitte, widerlegen Sie uns mit einem klaren Quellennachweis, wenn er zu führen ist. Dass "Wikipedia" fehlerhaft ist, weiß jeder. Dort versuchen linke Gruppen ständig die Deutungsmacht zu erobern.


Geschrieben

Wer nur in Wikipedia stöbert und die sonstigen vielfältigen Möglichkeiten des Internets außer Acht lässt - von der Möglichkeit, Bibliotheken zu Rate zu ziehen, ganz zu schweigen -, der wird zwangsläufig , lieber @Nuwas, all das auszublenden versuchen, was in ein rechtskonservativ gefärbtes Weltbild nicht passt. Die jederzeit in vielen, auch offiziellen Publikationen verfügbaren Quellen sprechen jedoch eine deutlich andere Sprache.

Zur Entstehung der ersten Reform des §175 sei darauf verwiesen, dass es Gustav Heinemann (SPD), der spätere Bundespräsident, als Justizminister der damaligen Großen Koailition war, der 1968 trotz heftigster Attacken der katholischen Kirche die Reform des Paragraphen einleitete. Unterstützt wurde Heinemann dabei von Parlamentariern aller Fraktionen, hauptsächlich der FDP, von liberalen Theologen, Wissenschaftlern, Juristen, der Humanistischen Union und dem Deutschen Institut für Sexualforschung. Den entscheidenden Anstoß gab dann der 47. Deutsche Juristentag 1968 in Nürnberg, bei dem vor allem die Juristen Prof. Harnack und Dr. Barbara Just-Dahlmann in ihren ausführlichen Gutachten forderten, den §175 nur auf "den Tatbestand gleichgeschlechtlicher sexueller Handlungen mit Jugendlichen zu reduzieren". Der Vorsitzende des "Sonderausschusses" für die Strafrechtsreform aber, der CDU/CSU Abgeordnete Güde, erklärte: "Es gibt ein paar tiefverwurzelte Anschauungen, die der Gesetzgeber nicht einfach wegmanipulieren kann - Tabus, die sich mit schwächlichen Aussagen nicht aus der Welt schaffen lassen. Das sitzt noch tiefer als das Sittengesetz. Und ich bin auch nicht der Meinung, dass man im Strafrecht alles begründen können muss" (vgl hierzu: Niederschriften des Sonderaussschusses, 1969).

Dieser Meinung Güdes schloss sich auch die große Mehrheit der CDU/CSU-Fraktion bei der namentlichen Abstimmung an und lehnte die Reform ab (vgl. hierzu: Bundestagsdrucksachen, Nr. 1552 und 1553, 6.Wahlperiode, Juni 1969). Aparterweise bezogen sich bei der zweitätgigen Bundestagsdebatte etliche CDU/CSU-Abgeordnete auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom 10.Mai 1957, das die Beibehaltung des naziverschärften §175 zementierte. Dieses hielt u.a. fest: "dass die öffentlichen Religionsgemeinschaften, insbesondere die beiden großen christlichen Konfessionen, aus deren Lehren große Teile des Volkes die Maßstäbe für sittliches Verhalten entnehmen, die gleichgeschlechtliche Unzucht als unsittlich verurteilen". Die 1969 verabschidete Reform hatte dann den Begriff "Unzucht" durch "sexuelle Handlungen" ersetzt.

Nicht durchgesetzt hatte sich der von 16 bundesdeutschen Strafrechtsprofessoren vorgelegte Alternativentwurf eines neues Strafgesetzbuches (AE-1968), der ebenfalls nur noch die Bestrafung gleichgeschlechtlicher Handlungen mit Jugendlichen vorsah. - Einem der Vorkämpfer für die Reform, dem mir persönlich bekannten Juristen und damaligen FDP-Bundestagsabgeordneten, Hermann Dürr, hatte ich selbst ein ganzes Bündel mühsam in der Szene gesammelter Unterschriftenlisten zur Abschaffung des §175 überreicht, die dieser dann auch im Bundestag vorlegte. Bei der entscheidenden Sitzung des Bundestages im Juni 1969 war der Großteil der CDU/CSU-Fraktion alles andere als reformbereit, wurde jedoch glücklicherweise von der Parlamentsmehrheit überstimmt.

Sehr verbunden wäre ich Ihnen, lieber @Nuwas, wenn Sie bei künftigen An- und Rückfragen zunächst selbst sich sorgfältiger Recherchen befleißigen, ehe Sie ein "Sie müssen sich irren" von sich geben. Und bitte: Verschonen Sie mich hinfort mit Wikipedia-Weisheiten!


Geschrieben

warum hat staat warum hat kirche eigentlich immer probleme mit gleichgeschlechtlicher liebe oder sexualität?

warum soviele gesetze für dinge die nur eine minderheit interessieren.

oder werden minderheiten gesäät um von anderem abzulenken?

ich versteh das alles nicht.


Geschrieben

Sehr einfach, @paol, weil Sexualität als einziges Grundbedürfnis unterdrückt werden kann ohne tödliche Folgen und somit ein geradezu ideales Machtmittel darstellt.


Geschrieben

klingt gut.

und das unterdrücken macht auch recht aggresiv und das kann sehr hilfreich sein.

klingt gut.

natürlich ordnet man sich in die gruppe ein die die vorgaben macht und unterstützt.

klingt gut.

aber dann müssten doch in wirklichkeit die schwulen menschen eine mehrheit sein,eine sichere kapitalquelle..

da sollt es schon nochetwas anderes geben.)


Geschrieben

@Minotaurus Ich lebe hier in Viersen , und mir stehen nicht die Möglichkeiten einer Universitätsbibliothek zur Verfügung.Daher kann ich Bundestagsdrucksachen nicht einsehen. Ich habe in meiner Antwort darauf hingewiesen, dass ich in den mir zugänglichen Quellen nach einer Antwort gesucht habe. Die Quellen geben aber über das Abstimmungsergebnis keine Auskunft. Mit den Möglichkeiten des Internets bin ich, wie Sie richtig sagen, nicht genügend vertraut.
Ihr langer Sermon hinterlässt mir darüber hinaus einen bitteren Nachgeschmack. Es ist eine seltsam oberlehrerhafte Vorgehensweise, mich hier in pseudoernstem Ton zu ermahnen, auf die Benutzung von Wikipedia zu verzichten. Ich hatte nämlich gerade erläutert, wie ich mit den mir zugänglichen Mitteln die Frage klären wollte.Aber sie konnten wohl auf ihre Tirade nicht verzichten.. Ich habe es nicht nötig, mich hier mit einer Pseudowissenschaftlichkeit zu spreizen.- Im Übrigen hätte es völlig ausgereicht, eine Internetseite oder einen erreichbaren Quellenbeleg anzugeben (wenn das so einfach ist, wie Sie behaupten), um meine Frage zu beantworten.Sie hätten auch einfach das Abstimmungsergebnis nennen können, denn nur über die eine Frage streiten wir hier, ob tatsächlich die Bundestagsfraktion der Unionsparteien die Sexualstrafrechtsreform abgelehnt hat.
Der Tenor Ihrer Antwort, die Überheblichkeit,Preziosität und Wichtigtuerei, macht mir völlig erklärlich, wieso Sie Leuten mit Kopf wenig imponieren können.Der erste Absatz Ihres letzten (längeren) Beitrags stellt schlicht- ich sag das im vollen Bewusstsein der Bedeutung des Wortes- eine Unverschämtheit dar.


Geschrieben

Zum Nachlesen das Bundesgesetzblatt vom 30. Juni 1969
http://www.bgbl.de/Xaver/start.xav?startbk=Bundesanzeiger_BGBl


Geschrieben

Lieber @Silberblick Ich danke sehr für deine Bemühungen. Ich bitte dich nur, den Streitgegenstand zu beachten. Es geht nicht um die Inhalte der Gesetze, es geht um die Behauptung, die Strafrechtsreform ( mit der Veränderung des Sexualstrafrechts) sei gegen die Unionsparteien von SPD und FDP durchgesetzt worden.- Ihr müsstet doch dann ganz leicht ein Abstimmungsergebnis nennen können. Ich kann das nicht finden, obwohl mir viele wissenschaftliche Werke zur Verfügung stehen(Leider aber keine Unibibliothek!). Dann zeigt mir die Überlegenheit des Internets.Viele Historiker der Gesellschaftsgeschichte nehmen von der Reform eben wenig Notiz.- Seit einiger Zeit versuche ich auf die von dir genannte Seite zu kommen. Da gibt es aber ein Benutzerlimit, die Seite ist noch unzugänglich.


Geschrieben

Ich habe weiter versucht, die Frage zu klären, ob die CDU g e g e n die Strafrechtsreform gestimmt hat. Das Archiv des Bundestages (im Netz) reicht leider nicht in diese Zeit. Da aber nirgendwo in Memoiren ,Geschichtswerken und Nachschlagewerken derartiges berichtet wurde, es aber mit Sicherheit als Symptom des Auseinanderfallens der Großen Koalition überall registriert worden wäre, behaupte ich, dass die CDU die Strafrechtsreform mitgetragen hat.


Geschrieben

Das Thema "Homosexuellenverfolgung und Politik in Deutschland" ist noch längst nicht gegessen. Zwar hat der Bundesrat jetzt beschlossen, die Urteile bis 1969 gegen Schwule sollten aufgehoben werden, aber ausgerechnet die Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) wehrt sich dagegen aus "rechtsstaatlichen" Gründen. Und von Entschädigung der übriggebliebenen von rund 50 000 nach 1945 wegen Homosexualität verurteilter Männer ist auch beileibe noch nicht die Rede.
Dass auch die Altparteien CDU/CSU, SPD und FDP keineswegs bisher Anstalten machen, ihr schändliches, über zwei Jahrzehnte andauerndes Verhalten in Bezug auf Homosexualität zu bedauern, gar zu entschuldigen, das gehört zu jenem unsäglichen Trauerspiel bundesdeutscher Politikrealität, an das sich schwule Männer immer erinnern sollten!
Die Tageszeitung "TAZ" hat dazu nun einen umfangreichen, gut recherchierten Artikel veröffentlicht, der die Aufmerksamkeit aller Schwulen jeden Alters verdient.

Hier der Link zum TAZ-Artikel:
http://taz.de/Erst-unter-Heinemann-Repression-beendet/!45494/

Wem das nicht reicht, der sollte auch den Kommentar der TAZ-Chefredakteurin lesen:
http://taz.de/Kommentar-Rehabilitation-von-Schwulen/!103469/

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